Authentisch verkaufen- geht das?

Vor zwei Jahren wurde ich von einer Firma im Telefonmarketing für ein Telefon- und Verhaltenstraining eines am Standort neu zusammengestellten Outbound- Vertriebsteams gebucht. Die Teilnehmer sind gerade durch die Schulung eines hippen „Vertriebsprofis“ gegangen und bis an die Haarspitzen motiviert, sich auf „echte“ Kunden zu stürzen. Sie scharren, wie man so schön sagt, mit den Hufen.

Authentisch geht anders!

Wir simulieren Kundengespräche. Ich mime den Kunden. Stolz zeigen mir meine Teilnehmer, was sie schon drauf haben. Da ist man permanent „super“ drauf und gibt Vollgas. Es wird gelächelt, was das Zeug hält, bis das Grinsen in den Gesichtern festgetackert scheint. Da wird in einem Höllentempo auf den Kunden eingeredet. Man kennt zu fast jedem Einwand des Kunden eine Entkräftigungsstrategie und meint zu wissen, wie man den Kunden schnellst möglich Richtung Abschluss drängt. Vor allem hat jeder “ seinen“ Satz auswendig gelernt, der den erfolgreichen Gesprächseinstieg garantieren soll. Da fallen Sätze wie „HEUTE IST IHR GLÜCKSTAG“ oder „NUR SIE ALS TREUER KUNDE BEKOMMEN JETZT VON MIR DIESES FANTASTISCHE ANGEBOT“ usw. Mit Superlativen wird nicht gegeizt. Mein „Nein, danke“ als Kunde wird in der Regel ignoriert und zum Anlass genommen, immer wieder nachzuhaken, um mich, den Kunden, weichzuklopfen. Das sei laut Vertriebsprofi schließlich der Weg zum erfolgreichen Verkaufen. Und der Vertriebsprofi muss es ja wissen. ICH HALTE ES KAUM AUS! Von Authentizität keine Spur! 

Meine Teilnehmer sind radikal auf Verkaufserfolg gebürstet- wie nach einer Gehirnwäsche. Wie kann man dieses Verhalten erklären?

 

Erfolgsdruck versus Kundenzufriedenheit

Anfangs wurde ihnen gesagt: „Wir erwarten von Dir einen Mindestabsatz von mindestens ??? Vertragsabschlüssen pro Woche. Je mehr Verträge Du darüber hinaus abschließt, desto mehr Geld hast Du in Deinem Geldbeutel.“ – das hört sich für den Vertriebsanfänger im Grunde super an, jedoch für jemanden mit Erfahrung ist schnell ersichtlich, dass im Normalfall schon der Mindestabsatz schwer zu erreichen ist. Außerdem ist das Grundgehalt niedrig angesetzt und ohne zusätzliche Provision ist die Vergütung knapp über Harz IV- Niveau. Die Verkäufer stehen also von Anfang an unter einem enormen Erfolgsdruck. Denn die Provision ist keine „Belohnung“, sondern eine notwendige Grundvoraussetzung, um auf ein halbwegs annehmbares Einkommen zu kommen.

Aber dann gab es vom Unternehmen zu Beginn gleichzeitig noch eine ganz andere, besondere Botschaft: „Wir erwarten, dass Du unsere Kunden stets ehrlich und zu ihrer vollsten Zufriedenheit berätst.- Denn die Zufriedenheit unserer Kunden ist uns am wichtigsten. Und vor allem wollen wir uns im Umgang mit dem Kunden von unserer Konkurrenz positiv absetzen“. Das Zauberwort heißt also Kundenorientierung.

 

Klassischer Interessenskonflikt- der Kunde oder ich?

Wir stoßen hier also auf ein Dilemma: Einerseits sollen die Verkäufer maximalen Profit erzielen und andererseits den Kunden stets ehrlich und zu dessen Wohl beraten. Das klappt manchmal gut, wenn der Kunde genau das will und braucht, was gerade im Angebot ist. In vielen Fällen ist das aber nur sehr selten miteinander vereinbar.

Konzerne, wenn wir ehrlich sind, sind naturgemäß in erster Linie an einer kurzfristigen Gewinnmaximierung interessiert. Man denkt in Quartalen und mancherorts auch in kleineren Zeitabschnitten, in denen Gewinnerträge miteinander verglichen werden. Eine langfristige Strategie ist vor allem in den Vertriebsabteilungen kaum vorzufinden.

 

Jeder Verkäufer muss seine Entscheidung treffen:

a. bin ich stets ehrlich zu meinen Kunden, denke und handle zum Vorteil des Kunden, dann habe ich einen zufriedenen Kunden. Womöglich erziele ich durch mein Verhalten langfristig eine hohe Kundenzufriedenheit und dadurch auch eine langfristige Kundenbindung. Das bringt mir aber jetzt nichts. Ich habe jetzt evtl. weniger Geld im Portemonnaie.

oder

b. ich fokussiere mich auf mein eigenes Gewinninteresse und habe am Ende mehr Geld. Der Kunde hat womöglich ein Produkt zu ihm nachteiligen Konditionen gekauft. Eventuell habe ich ihm Folgekosten verschwiegen (er hat ja auch nicht gefragt). Langfristig habe ich einen unzufriedenen Kunden, der evtl. bei nächster Gelegenheit kündigt- ist mir doch egal. Ich habe Umsatz gemacht!

In diesem System ist aus Sicht des Verkäufers die vernünftigere Wahl b. Da müssen Bedenken hintenanstehen. Oder wie Bertolt Brecht schon geschrieben hat: „Erst das Fressen, dann die Moral“.

 

Authentische Wirkung ist Grundlage

Was bedeutet das jetzt in der Praxis? Zurück zu meinem Training. Ich weise meine Teilnehmer darauf hin, dass ich ihr Verkaufsverhalten fragwürdig und nicht authentisch finde.

Sie lernen, dass jeder Kunde ein Recht auf ein „Nein“ hat und dass sie dies auch respektieren müssen. Ich zeige ihnen, wie sie durch ehrliche Kommunikation mittel- und langfristig Vertrauen zum Kunden aufbauen können und durch gutes Zuhören Ihre Verkaufschancen erhöhen.

Übungen zur authentischen Wirkung sind mir besonders wichtig. Authentische Wirkung kann man nur durch eine deckungsgleiche Einheit von Denken, Körpersprache, Stimme und Sprache erzeugen. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind hierfür wichtige Grundvoraussetzungen. Nach anfänglichen Widerständen lassen sich meine Teilnehmer begeistert auf meine Übungen ein und jeder begibt sich auf den Weg, einen eigenen Stil zu entwickeln, der zu seiner Persönlichkeit passt.

Übrigens wollte mich der Standort anschließend allerdings nicht mehr zu diesem Thema buchen. Begründung: Mein Training passe nicht zur momentanen internen Vertriebsstrategie. Nach zwei Jahren bin ich dort gerne wieder gesehen- die alte Führungsriege ist weg und die Vertriebsstrategie hat sich mittlerweile wieder geändert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

     

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